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Zwischen Zeilen von Papiergeschichten

 


"Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie Erwachsene, aber was sind sie nun? Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch." 

                                                        Erich Kästner 



Mein heutiger Gesprächspartner empfängt mich am Gartentor seines kleinen Hauses und führt mich an diesem heißen Juninachmittag zu einem schattigen Platz.

- Schau, wir haben einen Ameisenhaufen. Das sind die Waldameisen, - freut sich er und ich bin mir sicher, es werden bestimmt demnächst die Geschichten aus dem Leben der Ameisen geben.

- Jörg, erklär mir bitte, welcher 50jährige Mann setzt sich auseinander mit den Gedanken über die "eingeringelten Garagen,- und Kellerwürmer" aus, und schreibt über sie die Geschichten?

Jörg Pagger bricht in Lachen aus, seine Augen strahlen:

- Glaubst du mir nicht? Kennst du die Würmer, die ich meine? Wenn du willst, zeige ich dir nachher die toten Würmer in meinem Keller.

Nachher heißt es, - nach unserem Gespräch...

Jörg Pagger (52) eigentlich ein Lehrer für Soziale Arbeit in Sozialmanagement ist Autor von drei Büchern. Wir unterhalten uns über sein jüngstes Buch, nämlich, "Papiergeschichten", über das Schaffen, den Glauben, die Beziehungen und das Leben allgemein...

- Jörg, ich muss was beichten...

- Ja?

- Im Vorwort von "Papiergeschichten" schreibst du, "jede der Geschichten in diesem Buch können Sie, wenn Sie das wollen, zu einem Papierflieger falten, und sie so in die Welt fliegen lassen..." Animierst Du den Leser Dein Buch kaputt zu machen? Ich wollte schon sehr ein paar Seiten ausreißen, um die Geschichten weiter fliegen zu lassen...

- Ich habe tatsächlich überlegt das Buch mit perforierten Seiten herauszugeben, damit der Leser, wenn er will, die Seiten ausreißen kann, aber aus Kostengründen habe ich dann doch darauf verzichtet. Mir ist sehr wichtig, dass die Geschichten weiter erzählt werden. Innerlich bin ich ein 6jähriger, der sagt, "schaut, was ich gemacht habe!"

- "Papiergeschichten" ist Dein drittes Buch. Erzähl mir bitte über Deine ersten zwei Bücher.

- Mein erstes Buch heißt "Parkplatzgeschichten" (2007). Das ist ein Buch mit den Zeichnungen, die ich als Parkplatzwärter in Athen gezeichnet habe. Um die Zeit tot zu schlagen habe ich angefangen zu zeichnen. Mein Chef dort hat sich immer geärgert: "Jörg, was soll der Blödsinn!" Ich aber habe ihm gesagt, "warte nur ab, mit meinen Zeichnungen werde ich berühmt, und eines Tages komme ich hierher und kaufe dein Parkhaus", - erinnert sich Jörg Pagger und lacht. 

Das zweite Buch, eine Bildergeschichte "Clown, der seine rote Nase sucht", habe ich 2010 herausgegeben. 

- Du schreibst nicht nur die Geschichten, sondern zeichnest auch. Ich bewundere Deine Zeichnungen. Sie sind zwar sehr minimalistisch, aber aussagekräftig und präzise. Wenn man von den Büchern sagt "zwischen Zeilen lesen", so könnte man über Deine Zeichnungen sagen "zwischen Strichen betrachten". Woher kommt diese Gabe?

- Mein Vater war Architekt, und meine Mutter war Kindergartenpädagogin. Ich wuchs mit den Zeichnungen auf, mein Vater zeichnete viel mit uns Kindern. Er war auch ein Meister im Erfinden von Wörtern und verschiedenen Wortspielen. 

- Lass uns über "Papiergeschichten" reden... Die meisten Deine Geschichten sind lustig, sie entstehen aus den Alltagsbeobachtungen, und Situationen, die jeder von uns erleben kann. Manchmal sind das Gesprächsfetzen, eine komische Situation, eine Begegnung.  Bei den meisten Geschichten habe ich gelacht, aber es gibt eine, die mich, trotz ihrer Leichtigkeit und Einfachheit, traurig und nachdenklich gemacht hat. Das ist die Geschichte über die Freundschaft. Deiner Meinung nach, warum entstehen die Freundschaften nicht, nach denen wir uns so sehnen?

- Das ist eine gute Frage... Ich glaube, das hat was mit dem Alter zu tun. Je älter man wird, desto schwieriger ist es neue Menschen in das eigene Leben aufzunehmen, geschweige von dem, daß man neue Freundschaften schließt. Im Leben hat man, sagen wir, 5 - 6 Freunde, und aus Zeitmangel, bevor ich jemanden, den ich vor kurzem kennengelernt habe anrufe, rufe ich jemanden von meinen alten Freunden an. Es ist Zeitmangel, dass wir keine neue Freundschaften schließen, und auch Ansprüche. Mit dem Alter wachsen die Ansprüche. 

- Ein anderes Thema, welches Du in Deinen Geschichten, sei es Texte oder Zeichnungen, behandelst, ist das Thema "Gott".

- Ja, die Themen "Gott", "Glaube", "Kirche" beschäftigen mich sehr. Ich bin in einer katholischen Familie aufgewachsen. Ich war, und bin immer noch auf der Suche nach der Spiritualität. Immer... Früher habe ich mich mit den Fragen der katholischen Morallehre auseinandergesetzt, und vermisse den zeitgemäßen Zugang der Kirche zu den Menschen. Ich vermisse von den Pfarrern die Predigten, die zeitgemäß und intellektuell wären. Wenn ich in Griechenland bin, gehe ich dort öfters in die Kirche. Ich liebe den Weihrauch, der viel in griechischen Kirchen verwendet wird und das Meditative daran. Mit 18 oder 19 landete ich bei einer evangelischen Gemeinde, aber vermisste mit der Zeit die katholische Kirche. Mit zunehmendem Alter habe ich liebenswerteren Zugang zu der katholischen Kirche gefunden. Meine Suche hat nie aufgehört, und ich würde mich, nach wie vor, als einen Suchenden bezeichnen. 

- Glück und Zufriedenheit sind die weiteren Themen, die Du in Deinen Geschichten behandelst.  Man schmunzelt zwar beim Lesen, und zugleich trifft man zwischen den Zeilen einen melancholischen und auch traurigen Protagonisten.  Bist du glücklich?

- ... du erkennst das... Ich bin nicht ein Prototyp eines glücklichen Menschen. Ich habe die Phasen der Melancholie und Depressionen erlebt, und erlebe sie immer noch. Nur mit der Zeit habe ich gelernt mit meinen depressiven Verstimmungen umzugehen. Meine Texte und Zeichnungen sind reduziert, und mir ist es sehr wichtig, dass ich nicht zu seicht werde. 

- In einer der Geschichten gibst Du selber dem Leser ein Mittel gegen die depressive Verstimmung...

- Tatsächlich? Welches denn?

- Die Schlagersendung mit Florian Silbereisen...

- Ja! (lacht) Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu den Leuten. Einerseits frage ich mich, wie kann man so oberflächlich sein, andererseits bewundere ich sie, - wie schaffen sie das? Man hört die Nachrichten über den Krieg, und danach gleich sieht man eine Schlagersendung...

- Was brauchst du zum Schreiben und Zeichnen?

- Papier, Stift und mein Grafiktablett. 

- Ich meine, welche Bedingungen brauchst du...

- Ich muss alleine sein. Am liebsten zeichne ich in Kaffehäusern, und das mache ich jeden Tag. Regelmäßigkeit hilft mir nicht depressiv zu werden. Ich habe eine Regel für mich, - pro Tag gibt es eine Geschichte und eine Zeichnung. Die Ideen entstehen spontan, bis zu einer Stunde zeichne ich, und ich weiß meistens nicht, welches Ergebnis sein wird. Die Kunst ist für mich ein Ausgleich zu der Schwere des Lebens.

- Deine Frau Eirini ist auch eine Künstlerin. Zwei Künstler unter einem Dach, und das seit fast 20 Jahren... Wo steckt das Geheimnis eurer funktionierenden Beziehung?

- Eirini ist geerdet, stabil und strukturiert. Ich bin mehr chaotisch, und egoistisch. Sie hat Kunst studiert, sie malt Bilder, aber kaum jemand kennt sie. Wie die meisten Männer helfe ich zu wenig im Haushalt, und Eirini kümmert sich um alles. Leute kennen mich, und sind sehr überrascht, daß Eirini auch malt. Deswegen bin ich froh, daß sie jetzt die Möglichkeit gehabt hat ihre Bilder bei der Ausstellung im Rathaus von Leibnitz zu zeigen. Von uns zwei ist Eirini die Stabile, und nach wie vor ist sie meine Traumfrau. Ihretwegen wanderte ich nach Griechenland aus und wartete bis sie mit ihrem Studium an der Athener Uni fertig war.

- Einen Teil von deinen Papiergeschichten bilden die mehr oder weniger lustigen Situationen und Szenen mit den Frauen. Dein Protagonist flirtet mit den Frauen: er bestellt Creme Brûlée, die nicht brüllen soll, oder er möchte in der Therme  Chips auf den Chip gebucht haben..., aber die Damen entweder reagieren nicht, oder ignorieren ihn. Hat dein Protagonist keine Angst peinlich zu sein? 

- Erstens, ich sehe diese Situationen nicht als Flirt. Diese Gespräche, oder, wie wir sagen, Schmähs, entstehen sehr spontan, und bei den Männern mache ich das auch. Mir ist es egal, was die anderen denken. Die Situationen ergeben eine Möglichkeit für ein Wortspiel. Ich muss aber sagen, zwanghaft kann ich nicht witzig sein, z. B., in Griechenland will ich manchmal zu krampfhaft witzig sein, weil ich andere Wortspiele kreiere, als das die Griechen tun, weil ich andere Dinge höre. Und das ist mir mittlerweile an mir selbst oft zu mühsam. Wie ich schon erzählt habe, mein Vater war ein Künstler im Wortspielen. Auch in unserer Familie erfinden wir viele Worte, wenn wir Worte auf griechisch und deutsch zusammenfügen...

- Es ist schon sehr erstaunlich, daß eure Familiensprache griechisch ist. Du hast griechisch gelernt.

- Ja, ich habe Griechischkurs gemacht als wir in Athen gelebt haben. 

- Du betreibst Facebook Seite , und bist auf Instagramm. Jeden Tag präsentierst du auf diesen Kanälen eine Zeichnung und eine Geschichte. Wie ist dein Verhältnis zu Socialmedien?

- Socialmedien sind ein Fluch und ein Segen zugleich. Sie haben Suchtpotenzial. Früher war mir sehr wichtig, wie viele "Likes" bekomme ich für meine Beiträge, oder wieviel Followers habe ich. Aber ich habe gelernt damit umzugehen, und die Anerkennung, die ich mir früher gewünscht habe, ist mir nicht mehr wichtig. Ich erwarte keinen Durchbruch mehr entdeckt zu werden. Sicher, manchmal ärgere ich mich, daß jemand anderer, der auch auf der gleichen Art zeichnet wie ich, mehr Followers und Likes hat. Die Socialmedien sind eine Bühne, und ohne meine Kunst zu zeigen würde es mir keinen Spaß machen. Es ist ein bisschen was vom Wunsch anerkannt zu sein: "schaut her!" Wie ich schon gesagt habe, innerlich bin ich der 6jährige, der sagt, "Mama, Papa, schaut, was ich gemacht habe!"

- Kehren wir noch zurück zu einer Mann und Frau Geschichte. 

- Ich sehe, das beschäftigt dich...

- In der Geschichte über die Lenorwerbung macht ein Typ seinen Oberkörper frei... Die Spannung steigt...und das Ende der Geschichte enttäuscht. Ich hätte mir ein anderes Ende gewünscht...

- ...Ich auch...

- Wird es ein nächstes Buch geben, und wann?

- Es wird bestimmt ein nächstes Buch geben, - antwortet Jörg Pagger und mit dem liebevollen Blick auf seine Frau Eirini, die gerade nach der Arbeit nach Hause kommt, fügt er hinzu:

 - Die Chefin wird entscheiden wann...


- Jörg, danke für deine Zeit und das Gespräch



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